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dpa-AFX: ROUNDUP 2/ Wirtschaftsministerin Reiche zur Energiewende: 'Kosten müssen runter'

(Neu: Reaktion Greenpeace)

BERLIN (dpa-AFX) - Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche
strebt einen Kurswechsel bei der Energiewende an. "Die Kosten müssen insgesamt
runter", sagte die CDU-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "In
den vergangenen Jahren war das politische Ziel allein auf den Zubau fixiert. Die
Energiewende wird aber nur erfolgreich sein, wenn wir den Ausbau der
Erneuerbaren und die Kosteneffizienz konsequent zusammenzubringen. Das muss das
Ziel sein." Betreiber von Ökostrom-Anlagen sollten sich aus Reiches Sicht
künftig an der Finanzierung des Stromnetzausbaus beteiligen.

"Realitätscheck"

Ende des Sommers will Reiche einen "Realitätscheck" zur Energiewende
vorlegen. "Wir brauchen zwingend mehr Steuerbarkeit, um die Volatilität der
Stromerzeugung durch erneuerbare Energien ausgleichen zu können. Auch Speicher
spielen zum Ausgleich eine Rolle. Sie sind Teil der Lösung, aber reichen allein
nicht aus. Wir werden uns die Ergebnisse genau anschauen, und dann werden wir
die notwendigen Schlüsse daraus ziehen."

Reiches Amtsvorgänger Robert Habeck (Grüne) hatte mit verschiedenen
Maßnahmen den Ausbau des Ökostroms vor allem aus Wind und Sonne vorangetrieben.
Die erneuerbaren Energien sollen eine Schlüsselrolle spielen, damit Klimaziele
erreicht werden. Der Ausbau der Stromnetze hält aber nicht Schritt. Wegen
fehlender Netze müssen erneuerbare Anlagen immer wieder gedrosselt werden.
Ausgleichsmaßnahmen gegen Netzengpässe kosten viel Geld. Um den vor allem im
Norden produzierten Windstrom in große Verbrauchszentren im Süden zu
transportieren, sollen Tausende neue Kilometer Stromleitungen verlegt werden.
Ein Großteil ist aber noch nicht fertig.

Hohe Kosten

Mit Blick auf geplante Entlastungen der Stromkunden bei den Netzentgelten,
mit denen unter anderem der Netzausbau finanziert wird, sagte die Ministerin:
Momentan würden Kosten vom Stromkunden in die öffentlichen Haushalte und damit
auf den Steuerzahler verschoben
- in einer Größenordnung von rund 30 Milliarden Euro. "Wir lösen
damit nicht das grundlegende Problem. Die Entlastungen bei der Stromsteuer, die
Abschaffung der Gasspeicherumlage, die teilweise Übernahme der Netzkosten und
die Übernahme der schon länger in den Haushalt verlagerten EEG-Kosten machen
zusammen rund 30 Milliarden Euro aus." Die Energiewende müsse kosteneffizienter
werden. "Und das geht auch."

Stromverbrauch

Eine wesentliche Kenngröße sei der prognostizierte Stromverbrauch, sagte
Reiche. "Die letzte Regierung hat angenommen, dass der Stromverbrauch schon 2030
auf bis zu 750 Terawattstunden steigt, bis 2035 gibt es Prognosen von 1.000
Terawattstunden." Das wäre eine Steigerung von fast 50 Prozent innerhalb weniger
Jahre. "Seriöse Studien zweifeln, ob diese Steigerungen der Realität
standhalten. Wir werden eine deutliche Zunahme der Elektrifizierung sehen,
insbesondere im Bereich der Wärmepumpen, der Elektromobilität, der
Digitalisierung. Ob in den von der Ampel angenommenen Größenordnungen, darf
bezweifelt werden."

Betreiber von Ökostrom-Anlagen

Der Ausbaupfad der erneuerbaren Energien und der Netzausbau müssten
synchronisiert werden, sagte Reiche. Betreiber von Anlagen erneuerbarer Energien
müssten mehr Systemverantwortung übernehmen. Sie sollten sich an der
Finanzierung des Netzausbaus beteiligen.

"Systemverantwortung heißt, dass die Kosten für den Netzausbau nicht mehr
nur über die Netzbetreiber und die allgemeinen Netzentgelte von den Stromkunden
zu bezahlen sind", sagte Reiche. Die Kosten für den Netzausbau liegen bisher
voll beim Netzbetreiber und werden über die Netzentgelte von den Stromkunden
bezahlt.

Für die Reform der Netzentgelte ist die Bundesnetzagentur zuständig. In
einem Diskussionspapier ist auch die Rede von einer Verbreiterung der
Finanzierungsbasis durch eine Beteiligung von "Einspeisern" an den Netzkosten.

Verteilung der Kosten

"Wir müssen zu einer fairen Verteilung der Verantwortung kommen", sagte
Reiche. "Wir brauchen die Erneuerbaren für die Dekarbonisierung. Wir brauchen
sie auch, weil es innovative Technologien sind. Aber Risiko und Kosten dürfen
nicht einseitig auf die Kunden übertragen werden. Die Erneuerbaren können und
müssen mehr Systemverantwortung übernehmen. Und das heißt auch, Verantwortung
für die Kosten des Gesamtsystems zu übernehmen und einen Beitrag zur
Netzstabilität, zur Regelbarkeit und zur Steuerbarkeit zu leisten."

Reiche sagte weiter: "Das bisherige System, das erneuerbare Energien
teilweise vergütet, egal, ob sie einspeisen oder nicht, bedarf aus
volkswirtschaftlicher Sicht schnellstens einer Überarbeitung." Den Ausbaupfad
könne man dann beibehalten, wenn Systemverantwortung durch die Erneuerbaren
wahrgenommen werde.

Reiche: Klimaziele sehr ambitioniert

Die Ministerin sagte, sie habe sich ausdrücklich zu den Klimazielen 2045
bekannt. "Aber die Ziele sind sehr, sehr ambitioniert. Jeder, der sich mit der
Frage ernsthaft beschäftigt, wird dem zustimmen."

Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein. Klimaneutralität bedeutet, dass
nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden, als auch wieder gebunden werden
können.

Kritik von Greenpeace

"Was Katherina Reiche als "Realitätscheck" verkauft, ist in Wahrheit ein
Rückfall in die fossile Vergangenheit und eine altbekannte Verzögerungstaktik",
sagte Karsten Smid, Greenpeace-Experte für Klima und Energie."Statt den Ausbau
mit erneuerbaren Energien voranzutreiben und mehr Flexibilität im Netz zu
ermöglichen, bremst sie die Transformation aus und setzt auf das Zupflastern von
Gaskraftwerken im ganzen Land."/hoe/DP/mis

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