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dpa-AFX: ROUNDUP/Air-India-Absturz: Piloten sprachen über Treibstoff-Regler

NEU-DELHI (dpa-AFX) - Der Absturz des Air-India-Flugzeugs mit 260 Toten vor
einem Monat ist möglicherweise auf eine unterbrochene Treibstoffzufuhr
zurückzuführen. Die Regler für die Kraftstoffzufuhr der beiden Triebwerke seien
unmittelbar nach dem Start fast gleichzeitig auf die Position "abgeschaltet"
gesprungen, heißt es in einem vorläufigen Bericht der indischen Behörde für
Flugunfall-Untersuchung. Im Cockpit gab es einen Wortwechsel darüber, warum die
Schalter plötzlich geschlossen waren. Der Bericht nennt keinen Grund.

Dem Bericht zufolge kam es kurz nach dem Start zu einem plötzlichen
Schubverlust und die Boeing 787 Dreamliner verlor an Höhe. Auf
dem geborgenen Stimmenrekorder des Flugzeugs sei im Cockpit zu hören gewesen,
wie einer der Piloten den anderen gefragt habe, warum er den Kraftstoffschalter
umgelegt habe, heißt es. "Der andere Pilot antwortete, er habe das nicht getan."
Wann der Flugkapitän sprach und wann der Erste Offizier, blieb unklar.

Experte: Schalter nicht leicht verstellbar

Luftfahrtexperte Graham Braithwaite von der Cranfield University sagte der
BBC, solche Treibstoff-Regler könnten nicht leicht abgeschaltet werden. Es
handle sich um "wirklich wichtige Schalter", die davor geschützt seien, dass
jemand sie versehentlich berühre. Wenn ein Pilot einen solchen Schalter
betätigen wolle, müsse er diesen "anheben und sehr bestimmt in die gewünschte
Position bewegen", erklärte Braithwaite. Der Experte wies auch darauf hin, dass
in dem Bericht nicht behauptet werde, ein Pilot habe den Schalter bewegt.

Das Flugzeug mit 242 Menschen an Bord war am 12. Juni in Ahmedabad im
westindischen Bundesstaat Gujarat in ein Wohngebiet gestürzt und in Flammen
aufgegangen. Bei der Katastrophe starben 241 Insassen und 19 weitere Menschen am
Boden. Nur ein Passagier an Bord - ein Brite - überlebte. Das Flugzeug war nach
London unterwegs.

Notfallsystem ausgeklappt

Überwachungskameras am Flughafen hätten gezeigt, dass das Ram-Air-Turbine
genannte Notfallsystem des Flugzeugs ausgeklappt worden sei, als die Maschine
anfangs gestiegen sei, heißt es weiter in dem vorläufigen Bericht. Das System
besteht aus einem kleinen Propeller und erzeugt aus dem Fahrtwind hydraulische
oder elektrische Energie. Bei einem Notfall wird es aus dem Rumpf oder der
Tragfläche ausgeklappt.

Dem Bericht zufolge deutete nichts auf einen möglichen Zusammenprall mit
fliegenden Vögeln hin. "Es wurden keine bedeutsamen Vogelaktivitäten in der Nähe
der Flugbahn beobachtet." Die Maschine habe bereits an Höhe verloren, noch bevor
sie die Umfassungsmauer des Flughafens überflogen habe. Einer der Piloten habe
eine Notmeldung mit dem Code "Mayday Mayday Mayday" abgesetzt.

Keine Handlungsempfehlung für Boeing

In diesem Stadium der Untersuchungen gebe es "keine Handlungsempfehlungen
für die Betreiber und Hersteller von Boeing 787-8 und/oder GE
GEnx-1B-Triebwerken", teilte die Behörde mit. An den Untersuchungen beteiligten
sich demnach auch Experten von Boeing, der Bundesluftfahrtbehörde der USA sowie
des Triebwerkherstellers GE .

Die Fluggesellschaft Air India bestätigte den Eingang des vorläufigen
Berichts. Sie könne sich angesichts der laufenden Ermittlungen aber nicht zu
spezifischen Details äußern, teilte sie mit.

Deutscher Luftfahrtexperte: Alles deutet auf Suizid hin

Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt äußerte sich im "Spiegel" mit Blick
auf den vorläufigen Bericht überzeugt, dass einer der beiden Piloten die
Treibstoffzufuhr absichtlich unterbrochen habe. "Alles deutet darauf hin, dass
es ein Suizid war. Dass einer der beiden Piloten dieser Maschine bewusst die
Treibstoffzufuhr unterbrochen hat - und das genau in dem Moment, in dem das
Flugzeug am verwundbarsten war, unmittelbar nach dem Abheben."

Die beiden Treibstoff-Regler für die Triebwerke seien laut dem Bericht
wenige Sekunden nach dem Abheben von "Run" auf "Cutoff" umgelegt worden - und
zwar nacheinander, im Abstand von einer Sekunde zwischen Schalter 1 und Schalter
2. "Das kann nach menschlichem Ermessen nur einer der beiden Männer im Cockpit
getan haben", so Großbongardt. "Versehentlich kann man diese Regler nicht
bewegen."

Die Wiederherstellung der Treibstoffversorgung sei zwar wenige Sekunden
später erfolgt, so der Experte - jedoch sei das bereits zu spät gewesen. "Jeder
von beiden könnte sie betätigt haben. Es ist noch nicht einmal ausgeschlossen,
dass derjenige, der sie abschaltete, gleich danach den anderen gefragt hat,
warum er die Treibstoffzufuhr abgeschaltet habe: Im Versuch, seine Spur zu
verwischen", so der Luftfahrtexperte. Es werde umfassende Untersuchungen geben -
und wohl viele Spekulationen darüber, wer von beiden es war./dg/DP/zb

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