dpa-AFX: WDH/ROUNDUP 2/Zweite Kanzlerreise: Große Erwartungen an Merz in Brüssel
(In der Überschrift wurde die Nummerierung des Roundups ergänzt.)
BRÜSSEL (dpa-AFX) - Drei Tage nach seinem Amtsantritt ist der neue
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu seiner zweiten Auslandsreise nach Brüssel
aufgebrochen. Dort will er Nato-Generalsekretär Mark Rutte sowie mit
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident António Costa und
Parlamentspräsidentin Roberta Metsola die drei Spitzenvertreter der EU treffen.
Seine ersten Antrittsbesuche hatte Merz bereits am Mittwoch in Paris und
Warschau absolviert.
Merz sieht große Erwartungen in Europa
Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags zwischen Union und SPD hatte
der CDU-Chef angekündigt, mit seiner Regierung dafür zu sorgen, dass
Deutschlands "Stimme in Europa und in der Welt" wieder gehört werde. "Große
Teile Europas, die Europäische Union allemal, sie warten auf uns, dass wir
wieder einen kraftvollen Beitrag zum Gelingen des europäischen Projektes
leisten."
Als Oppositionsführer hatte Merz seinem Vorgänger Olaf Scholz (SPD)
Passivität in der Europapolitik vorgeworfen und versprochen, die
"europapolitische Sprachlosigkeit" Deutschlands zu beenden. In enger Kooperation
mit den Nachbarländern Frankreich und Polen will er die europäische Souveränität
stärken und damit auf den außenpolitischen Kurswechsel der USA unter Präsident
Donald Trump reagieren.
Merz will Schluss machen mit "German Vote"
Die Erwartungen in Brüssel sind hoch. In den vergangenen Jahren wurde dort
immer wieder kritisiert, dass die Ampel-Koalition von Scholz oft lange brauchte,
um sich zu wichtigen Projekten wie etwa der Reform des europäischen Asylsystems
zu positionieren. Für noch größeres Unverständnis sorgte, wenn in Berlin
zwischen SPD, Grünen und FDP gar keine Einigung gelang und Deutschland sich
deswegen bei EU-Abstimmungen enthielt - so zu Beispiel beim
EU-Lieferkettenkettengesetz.
"German Vote" wurde das in Brüssel ironisch und auch etwas abfällig genannt.
Merz hat versprochen, damit Schluss zu machen. Mit dem langjährigen deutschen
EU-Botschafter Michael Clauß hat er sich einen Mann als europapolitischen
Berater ins Kanzleramt geholt hat, der die Brüsseler Sichtweise sehr genau
kennt.
Eine Reihe Bewährungsproben für neues Team Deutschland
Für das neue Team Deutschland stehen aber etliche Bewährungsproben an. So
will Merz etwa Deutschland wieder zu einer treibenden Kraft in Europa machen.
Als äußerst fraglich gilt, ob ausgerechnet eine Regierung mit den Unionsparteien
bereit sein könnte, der von Frankreich und anderen Ländern gewünschten Aufnahme
neuer gemeinsamer EU-Schulden für Verteidigungsprojekte zuzustimmen.
Für große Diskussionen sorgt zudem bereits die Entscheidung der neuen
Bundesregierung, mit zusätzlichen Grenzkontrollen und Zurückweisungen von
Asylbewerbern gegen unerwünschte Migration vorzugehen. Aus Sicht von Kritikern
ist ein solches Vorgehen vermutlich nicht mit EU-Recht vereinbar und zudem eine
Gefahr für den eigentlich grenzkontrollfreien EU-Binnenmarkt. Doch gab es auch
Zustimmung zum geplanten Kurswechsel in der deutschen Asylpolitik, etwa von der
Regierung Österreichs.
Mit Spannung wird auch erwartet, wie sich die Bundesregierung im
Zollkonflikt mit den USA und den anstehenden Verhandlungen über den nächsten
langfristigen EU-Haushaltsplan positioniert. Bei beiden Themen stellt sich die
Frage, ob für die gesamte EU vorteilhafte Lösungen als wichtiger erachtet werden
als die Interessen einflussreicher deutscher Bundesländer oder Industriezweige.
Ukraine und Verteidigungsfähigkeit bei Nato Thema
Bei der Nato wird es für Merz um den russischen Angriffskrieg gegen die
Ukraine und die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses angesichts der russischen
Bedrohung gehen. Im Juni findet in Den Haag der erste Nato-Gipfel mit Trump nach
dessen Amtsantritt im Januar statt.
Am Vorabend seiner Brüssel-Reise telefonierte Merz mit Trump. Der
Ukraine-Krieg war dabei das Hauptthema. Die beiden hätten eine enge
Zusammenarbeit mit dem Ziel einer Beendigung des russischen Angriffskriegs
vereinbart, erklärte Regierungssprecher Stefan Kornelius anschließend.
Was den Weg zu einer möglichen Friedenslösung angeht, gibt es zwischen den
USA und den europäischen Verbündeten aber erhebliche Differenzen. Während Trump
die Ukraine zu Zugeständnissen an Russland drängt, warnen Länder wie
Deutschland, Frankreich und Großbritannien vor einem
Diktatfrieden./mfi/aha/DP/jha