dpa-AFX: ROUNDUP: Bauern verklagen Pflanzenschutz-Händler auf Millionen
DORTMUND (dpa-AFX) - Eine Gruppe von Pflanzenschutz-Großhändlern muss sich
Schadenersatz-Forderungen von 3.200 Bauern stellen. Beim Dortmunder Landgericht
habe man Klage eingereicht und fordere mehr als 200 Millionen Euro, teilte eine
Klagefirma namens Unilegion mit, die das Verfahren in einer Art Sammelklage im
Auftrag der Bauern führt. Nach Angaben des Landgerichts Dortmund werden bei der
Klage Schäden von 217 Millionen Euro geltend gemacht.
Das Kartell von neun Handelsunternehmen hat nach Angaben des
Bundeskartellamts jahrelang Listenpreise abgesprochen, hierbei ging es um den
Zeitraum 1998 bis 2015. Die Wettbewerbshüter verhängten im Jahr 2020 Bußgelder
von insgesamt 157 Millionen Euro. Aus Sicht der Klagefirma Unilegion haben die
Bauern wegen des Kartells zu hohe Preise bezahlt, nun wollen sie Geld zurück.
Pflanzenschutzmittel sind ein wichtiges Produkt im Agrarhandel.
Konventionell wirtschaftende Bauern schützen sich damit vor Ernteausfällen, die
ohne den Einsatz von Chemie durch Schädlinge oder Pflanzenkrankheiten drohen
würden.
Beklagtes Unternehmen sieht keinen Schaden für Bauern
Zu den Unternehmen gehören die Großhändler Baywa aus München
und Agravis aus Münster (NRW). Agravis teilte mit, dass es nicht um verbindliche
Preise gegangen sei - die tatsächlichen Verkaufspreise würden zwischen Käufer
und Verkäufer stets individuell verhandelt. Den Klägerinnen und Klägern sei kein
Schaden entstanden. Man begrüße die nun anstehende gerichtliche Klärung. Baywa
wollte die Vorwürfe auf Anfrage nicht kommentieren.
Der Klage vor dem Dortmunder Landgericht angeschlossen haben sich Landwirte
aus dem ganzen Bundesgebiet - manche haben große Betriebe, andere nur kleine.
Die Schadenersatzforderungen pro Betrieb reichen von wenigen Tausend Euro bis zu
mehr als einer Million Euro.
Die Landwirte haben den Angaben zufolge eine Anbaufläche von
zusammengerechnet circa 850.000 Hektar und damit mehr als fünf Prozent der
Anbaufläche in ganz Deutschland. Die Bauern aus allen Regionen Deutschlands
eint, dass sie regelmäßig Pflanzenschutzmittel für ihre Betriebe gekauft haben.
Die Landwirte, die einem hohen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt gewesen
seien, hätten dafür zu viel bezahlt, sagt Katharina Fröhlich aus dem Management
von Unilegion. "Es wird Zeit, dass sie dieses Geld zurückerhalten." Ihr
Unternehmen hat von den Landwirten insgesamt 600.000 Rechnungen zu
Pflanzenschutzmitteln bekommen und ausgewertet. Daraufhin hat ein
Beratungsunternehmen ein Gutachten zur Höhe des Schadensersatzes erstellt.
Knifflige Frage um die Kartell-Folgen für den Preis
In solchen Verfahren ziehen die Beklagten die Gutachten der Klägerin
üblicherweise in Zweifel und präsentieren ein eigenes Gutachten, das zu ganz
anderen Schlussfolgerungen kommt. Es ist zwar erwiesen, dass es das Kartell gab.
Welche Folgen das Kartell für die Preise genau hatte, wird von dem
Bundeskartellamt aber nicht festgestellt - diese Frage muss die Klägerin im
Gerichtsverfahren überzeugend beantworten. Dafür sind die aufwendigen Gutachten
nötig, auf denen wiederum Gutachten der Gegenseite folgen. Bisweilen kommt es
vor Gericht zu regelrechten "Gutachten-Schlachten".
Es gibt zwar statistische Analysen, denen zufolge die Preise durch Kartelle
im Regelfall deutlich steigen. Die Kläger müssen einen Preisanstieg aber konkret
und auf ihren Fall bezogen nachweisen. Das ist eine schwierige Sache.
Der Rechtsstreit zu den Pflanzenschutz-Preisen dürfte lange dauern. Bis Juli
laufen nach Angaben des Landgerichts Dortmund "aufgrund des Umfangs und der
Komplexität der Sache" noch Stellungnahmefristen zur Klageschrift. Agravis wies
darauf hin, dass manche vergleichbare Verfahren mehr als zehn Jahre dauerten.
"Nach der erstinstanzlichen Entscheidung durch das Landgericht Dortmund sind
zwei weitere Instanzen möglich."/wdw/DP/he